EXIL - Emigranten 1938 in Prag


Im Trubel der Berliner Filmfestspiele hat man kaum Zeit gefunden, eine Zeitung zu überfliegen, geschweige denn Muße zu einem Theaterbesuch. Trotzdem läßt man sich - leider! - Rolf Hochhuths neues Stück ‚»Ossie und Wessi« nicht entgehen, das für das anfangs in Scharen herbeiströmende Publikum vor allem darum anziehend ist, weil es »Ausgezogene« zu sehen gibt, rund zwei Dutzend völlig nackter Männer und Frauen dicht an der Bühnenrampe, Ansonsten hat das anfängliche Interesse an den hier vielartig angedeuteten Konflikten zwischen Ost und Westdeutschen bedenklich nachgelassen, auch die der Uraufführung beim Berliner Ensemble vor vorausgegangenen Hader, zwischen Autor und Regisseur sowie das vom ersteren dem zweiteren ausgesprochenen, aber unbeachtet gebliebenen Aufführungsverbot, haben an Bedeutung, die Vorstellungen an Besuchern verloren. Fünf Zeilen in der »Berliner Zeitung« am nächsten Tag lassen aufmerken, vielleicht versprechen sie Besseres. Und man ist nicht enttäuscht: ein Theaterensemble im 10. Bezirk »Licht und Schatten« benannt, bietet unter dem Titel EXIL eine Collage von Szenen, Gedichten, Songs und Liedern, die sich 1938 im Hinterzimmer eines Prager Kaffeehauses unter aus dem Deutschland emigrierten Schauspielern bei einer Probe zu Friedrich Wolfs bekannten tragischen Theaterstück »Professor Mamlock« abspielt. Einer – wie wir selbst aus jener Zeit wissen – nicht untypischen Beschäftigung eines großen Teils deutscher Emigranten, wie es z. B. Die vorübergehned in Prag weilenden Erwin Piscator, Hedda Zinner mit ihrem Mann Fritz Erpenbeck, Erich Geschonneck, F. W. Nielsen, Erich Freund oder das Ehepaar Friedrich Richter/Amy Frank, waren, alle im Prager STUDIO 34.

Die Berliner Gruppe besteht aus 17 Laienspielern, aber schon von der ersten Szene an, die als einzige tatsächlich eine der grundlegenden Krisensituationen aus »Professor Mamlock« zum Inhalt hat, ist man immer stärker, immer tiefer beeindruckt, Drei ergreifende Szenen aus Brechts »Furcht und Elend des Dritten Reiches« folgt ein satirischer Sketch des mutigen Spötters Werner Finck, ein Chor von SA-Männern singt den alten Schlager »Jawohl, meine Herr'n, so haben wir es gern!« ohne - welch grandioser Einfall! - eine einzige Änderung des Textes, der dennoch für die damalige Zeit brennend aktuell bleibt. Auch ein Abschnitt aus der Autobiographie des erfolglosen Hitler Attentäters Johann Georg Elser (vor kurzem von K. M. Brandauer in einem von ihn selbst inszenierten Film verkörpert) kommt durch die braune SA-Horde zum Vortrag, Walter Mering löst Günter Weisenborn, Varl Zuckmayer den Satiriker Alfred Polgar in gesprochenen und gesungenen Auftritten ab. Hinreißendster Höhepunkt ist das von einem Mädchen in himmelblauen Kleid vorgetragene Volkslied »Kommt ein Vogel geflogen«; das Kind ist Häftling eines Konzentrationslagers, man ist von der völlig schlichten, aber umso eindrucksvollerem Intonierung der hier so vielversprechenden Schlußverse »doch ich kann dich nicht begleiten, weil ich da bleiben muß« zu Tränen gerührt.

Es ist wahr: die schauspielerischen Leistungen der Laien (das sinnverwandte Wort »Dilettanten« sei streng vermieden!) lassen da und dort Wünsche offen, aber die Begeisterung der Agierenden für die gute Sache, ihr Einsatz für ein immer noch und lange noch und von neuem aktuelles Thema lassen über jedwede Mängel hinweg sehen. In Zeiten, da Asylanten - nicht nur in Deutschland! - beschimpft. Gefährdet und bedroht sind, da ihre Heimat in Brand gesteckt und Morde an ihnen begannen werden, hat sich das Ensemble zur Aufgabe gestellt, daran zu erinnern, dass auch Deutsche einst auf der Flucht vor Hitler auf Suche nach einem Asyl waren, dass Zehntausende in nah benachbarten Ländern heute von neuem zu fliehen genötigt sind und allen Ländern Europas Asyl und eine neue Heimat suchen….

Karin Döpke-Szymanski heißt die künstlerische Leiterin der Gruppe, die nun seit zehn Jahren besteht und schon eine Reihe von Collagen zu Themen der Neuzeitgeschichte auf die Bühne gebracht hat, durch die sich das Schicksal von Emigranten wie ein roter Faden zieht. Die Genannte ist auch – gemeinsam mit ihrem Mann Michael und dem Hauskomponisten Sebastian Schröder – Autorin des gesehenen Stückes, das tragische Schicksale so einfühlsam, zugleich auch warnend, nachzuempfinden versteht. Mit ihr ist die Gruppe von konventionellen Komödien, von zwei Einaktern Pavel Kohouts und einer Revue aus den Nachkriegsjahren zu einer Aufgabe übergegangen, die nicht nur an ihrem Spielort Charlottenburg, nicht nur in Berlin, sondern weithin größte Aufmerksamkeit und viel Zuspruch verdient!


Ursprünglich Veröffentlicht in der Prager Volkszeitung, 1993, Autor Hugo Kaminsky